Niccolò Paganini
Beschreibung
Die Stirn ist hoch und ausgeprägt. Die Nase gleicht einem schmalen Grat, der sich zu den Lippen hinunterzieht und durch die eingefallenen Wangen noch betont wird. Es ist ein sehr markantes Gesicht. Die Lippen sind schmal, man könnte meinen, dass sie von einer skeptischen Haltung zeugen. Dazu der Blick, unnahbar und zugleich durchdringend: Unbedingt sympathisch wirkt dieser Mann nicht. Und es ist auch ein höchst eigensinniger Charakter gewesen, den Ludwig Emil Grimm hier porträtierte. Das Bild zeigt den Geigenvirtuosen Niccolò Paganini – bis heute auch „Teufelsgeiger“ genannt, weil er vielen Menschen nicht geheuer war. Unheimlich war er seinen Zeitgenossen zum einen wegen der Beherrschung seines Instruments. Er lotete mit ihm die Grenzen des Spielbaren aus und bewirkte damit im Publikum eine mitreißende, gerne ins Ekstatische gehende Stimmung. Zum anderen war seine Persönlichkeit nicht nur in ihrer Erscheinung auffallend, vielmehr bewirkte Paganinis Verhalten noch dazu eine Mystifizierung seiner Person: Es gibt etliche Anekdoten und Gerüchte, die sich um ihn ranken. Im Sommer 1830 hatte er in Kassel gespielt und Ludwig Emil Grimm das Glück gehabt, ihn auf der Bühne erleben zu dürfen. „Einen großen Genuß habe ich vergessen zu sagen, den ich anfangs Juli hatte“, schrieb Grimm im Rückblick auf den Konzertbesuch. „Es war Paganini, der hier auf seiner Wundervioline spielte. Die merkwürdigste, geisterhafteste Erscheinung, blaß von Angesicht, schwarze, herunterhängende, lange Haare, vergebückten Kopf, schwarze, tiefliegende, blitzende Augen, eine gezwungene Freundlichkeit, weiße Zähne; der ganze Mensch so mager, daß ihn der Wind wegwehn könnte. So erscheint er mit seinem kleinen hölzernen Instrument, wo eine Welt voll himmlischer Musik verborgen liegt, bis er den Bogen ergreift. Jetzt wird nach und nach alles lebendig. Unglaubliche Töne hört man, bald braust und stürmt alles, man glaubt, die Hölle tät ihren Schlund auf; dann legt sich der Sturm, die silbernen Wolken ziehn am Himmel, und die Sonne geht golden am Horizont auf, Melodien, als wenn die Engel anfingen zu singen usw. Ich kann so was nicht beschreiben. Dieser Geist hat einen großen Eindruck auf mich gemacht, und ich hab sein Spiel nie vergessen“ (Ludwig Emil Grimm, zit. nach Ludwig Emil Grimm: Lebenserinnerungen des Malerbruders, hrsg. v. Heiner Boehncke / Albert Sarkowicz, Berlin 2015, S. 310f). Dass Grimm über das Konzerterlebnis hinaus Paganini auch porträtieren konnte, ist seinem Bruder Carl Friedrich Grimm (1787-1852, s. Inv.-Nr. 1.2.92) zu verdanken. Er hatte den Musiker überzeugt, sich zeichnen zu lassen. „da saß er nun“, berichtet Ludwig Emil Grimm in einem Brief, „der blaße hagere Geist ganz müd u lebenssatt u die schwarzen zottlichen Haaren u halsbinde u Rock hoben das Gesicht noch mehr, ich hätte was darum gegeben wenn ich Öhlfarbe bei der Hand gehabt u der Mensch hätte mir ordentlich 3 Stunden gesessen. er hat eigentlich doch ein recht geistreiches gesicht u wenn man sein gesicht zeichnet so findet man daß er die einzelnen Theile schön u fein hat. u voller Ausdruck, seine Stirne finde ich besonders schön […] als ich fertig damit war, das heißt so viel wie möglich, so hatte er eine grose Freude darüber, u sagte das sey endlich einmal ähnlich u schrieb Nicolo Paganini darunter“ (Ludwig Emil Grimm an Wilhelm Grimm, 14. Juli 1830, zit. nach Ludwig Emil Grimm. Briefe, hrsg. v. Egbert Kollman, 2 Bde., Marburg 1985, Bd. 1, S. 119). Doreen Paula