Nächster Museumsabend am 16.05.2025 im Martin Luther Haus


 

Am 13. Oktober 1944 wurde Kurt Neumaier auf Anordnung der Gestapo zusammen mit weiteren ca. 150 Münchner „Halbjuden“ in das Zwangsarbeitslager Tiefenort in Thüringen deportiert, wo die Organisation Todt in mächtigen Salzstollen die unterirdische Rüstungsproduktion ausbauen sollte. Auch Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge mussten dort unter Tage arbeiten. In unmittelbarer Nähe befand sich Abteroda, ein Außenlager des KZ Buchenwald.

Der Recherche zum Lager Tiefenort steht eine außerordentliche Quelle zur Verfügung: Der Onkel des Autors, Kurt Neumaier, schrieb aus dem Lager regelmäßig Briefe an seine ebenfalls „halbjüdische“ Frau Gretl, die 1944 bei den Münchner Stadtwerken zwangsverpflichtet worden war. Die täglichen Briefe schildern tagebuchähnlich das Lagerleben, die Arbeitsbedingungen, die vorherrschende Gemütsverfassung und die Freundschaften der Münchner Häftlinge.

Über die Beschreibung der Lagerhaft hinaus wirft die Korrespondenz ein erstaunliches und beklemmendes Licht auf das Alltagsleben eines rassistisch Verfolgten in diesen Jahren. Sie ist von Zensurbefürchtungen, Verdrängung, vagen Zukunftsängsten, aber auch von Alltäglichem, Hoffnungen und der Suche nach Wiedererlangung eines Lebens in Würde geprägt.

Die vollständig erhaltenen und ausführlich kommentierten Briefe sind auch ein Dokument über die Pläne der Nazidiktatur, die letzten noch überlebenden Jüdinnen und Juden, die in „privilegierten Mischehen“ oder als „Mischlinge 1.Grades“ bis dahin von den Deportationen oft noch nicht betroffen waren, gegen Ende des Krieges zu verfolgen und zu ermorden.

Die vorliegenden Briefe sind eventuell die einzigen zeitgenössischen Dokumente über die Deportation der Münchner „Halbjuden“ und das Zwangsarbeitslager Tiefenort, das sowohl in München als auch vor Ort weitgehend in Vergessenheit geriet. Einige später aufgezeichnete Erinnerungen von Mithäftlingen werden vom Autor zusätzlich in die Recherche einbezogen.

(Peter Neumaier, geboren 1949 in Frankfurt a. M., Studium der Volkswirtschaft und Politik, bis 2011 Lehrer an einem Oberstufengymnasium in Wiesbaden in den Fächern Wirtschaftswissenschaften und Politik und Wirtschaft; bis 2013 Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Didaktik der Sozialwissenschaften und der politischen Bildung an der Universität Frankfurt.)